Wird bei einem Betroffenen vom HNO-Arzt ein Hörverlust festgestellt, erhält dieser eine Verordnung für ein Hörgerät, welches er dann beim Hörakustiker erhält. Der Hörgerätekauf erfolgt nicht mal eben schnell über den Ladentisch, was der wörtlichen Übersetzung von „Over-the-Counter" entsprechen würde, sondern beinhaltet vielmehr mehrere Termine zur Kategorisierung des Hörverlustes und dem Anpassen an die Anforderungen des Betroffenen sowie eine meist mehrwöchige Testphase.
OTC-Geräte hingegen sollen nach einem simplen Hörtest und einer schnellen, in ihren Funktionen beschränkten Anpassung an den Betroffenen verkauft werden. Der deutlich günstigere Preis der Geräte im Vergleich zu den herkömmlichen kleinen Helfern und die Zeitersparnis sollen OTC-Geräte für Hörgeschädigte attraktiv machen. Das Wegfallen des HNO-Arzt-Besuchs sowie die nur menschliche Schmach, ein Hörgerät zu benötigen, bekräftigen die Motive der potentiellen Träger zusätzlich.
OTC-Hörgeräte richten sich ganz klar an Betroffene mit einer beginnenden Schwerhörigkeit, da sie über die Funktionen und die Leistung für eine individuelle Anpassung schlichtweg nicht verfügen. Experten kritisieren allerdings, dass Hörverluste in den meisten Fällen viel komplexer sind und ausgleichende Hörgeräte nur nach verschiedenen Hörtests und einem Anamnesegespräch so gut wie möglich auf die individuelle Schwerhörigkeit des Betroffenen angepasst werden können.
In Deutschland zählen Hörgeräte zu den Medizinprodukten, weshalb sie auch vom HNO-Arzt verordnet und dann individuell vom Hörakustiker eingestellt werden müssen. Sie sind außerdem nicht frei verkäuflich, was die deutsche Regelung von der einiger anderer Länder unterscheidet. Diese Gesetzgebung ermöglicht allerdings auch, dass die Unterstützungen des Hörvermögens von der gesetzlichen Krankenkasse bezuschusst werden und so genannte Nulltarif-Geräte beispielsweise bis auf eine Gebühr von 10 € zuzahlungsfrei sind.
Aus diesem Grund relativiert sich der günstige Preis der Over-the-Counter-Hörgeräte wieder und ein Gerät mit herkömmlicher Anpassung ist unter Umständen sogar günstiger. Die OTC-Geräte sind aufgrund des abweichenden Gesundheitssystems beispielsweise in den USA eine gewünschte Alternative zu den vergleichsweise teuren Einstiegsmodellen.
Eben aufgrund der Tatsache, dass Hörgeräte in Deutschland als Medizinprodukte gelten, sind die OTC-Geräte hierzulande nicht erhältlich. So genannte Hörverstärker, welche alle eingehenden Signale um eine regelbare Lautstärke erhöhen, können zwar beispielsweise im Internet erworben werden, doch ist hier besondere Vorsicht geboten. Aufgrund der fehlenden professionellen Anpassung der Geräte auf den individuellen Hörverlust können irreversible Hörschäden entstehen.
Moderne OTC-Geräte können in einem gewissen Rahmen beispielsweise über eine App vom Träger selbst angepasst werden und haben aufgrund des technologischen Wandels unter Umständen auch eine Zukunft in Deutschland. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten in diesem Fall allerdings klar festgelegt sein, um einen Missbrauch der Geräte zu vermeiden.
So wäre beispielsweise der ausschließliche Verkauf im Hörakustiker-Fachgeschäft sinnvoll, da der Träger so auf eine professionelle Beratung zurückgreifen und über beide Versorgungsvarianten aufgeklärt werden kann. Sollte ein OTC-Hörgerät zu Beginn in Frage kommen und sich dies mit dem Verlauf der Hörminderung ändern, hat der Betroffene so direkt einen qualifizierten Ansprechpartner und kann bei Bedarf auf ein herkömmliches Hörgerät umsteigen.
Abschließend kann festgehalten werden, dass die Over-the-Counter-Variante zu Recht keine Alternative zu den komplexen und hochtechnologischen Hörgeräten darstellt. Sollte sie in Deutschland eingeführt werden, könnte sie vielmehr als erster Schritt in Richtung des Hörgerätetragens dienen.
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